Lernen von der amerikanischen Sendung „Radiolab„.
500.000 US-Dollar Preisgeld für eine Radiosendung? Hier in Deutschland wäre das wahrscheinlich unmöglich. In den USA hat die Wissenschaftssendung WNYC Radiolab aber genau diesen Betrag gewonnen: Host Jad Abumrad wurde mit dem MacArthur „Genius“ Grant ausgezeichnet. In der Begründung schreibt die Jury, dass Jad mit Radiolab eine „neue Ästhetik des Radios“ entwickelt hat. Und recht hat sie!
Radiolab begeistert mich schon lange. Denn die Show bietet nicht nur ein innovatives, fürs Radio einzigartiges Sound Design und wunderschöne Geschichten, sondern auch eine Menge an modernen Storytelling-Methoden.
Über meine Liebe zu Radiolab und Twitter habe ich Tom Leonhardt kennen gelernt – einen begeisterten jungen Radiomacher, der für seine Bachelor-Arbeit die Besonderheiten der Radiolab-Sprache untersucht hat. In den nächsten Monaten wird er hier im Blog erklären, wie auch wir so cool, lässig, verständlich klingen können wie die Radiolab-Macher.
Das Geheimnis der Radiolab-Sprache, Teil 1
von Tom Leonhardt
In dem ersten Beitrag zur „Sprache“ bei Radiolab soll es um die Dialogführung gehen.
Die meisten Gespräche, egal ob zwischen Kollegen oder als Interview, sind im Radio inszeniert, d.h. es gibt ein Skript, an das sich im besten Fall streng gehalten wird. Das ist irgendwie komisch, weil Gespräche gerade dazu da sind, das Programm „lockerer“ und spontaner wirken zu lassen. Trotzdem wird häufig versucht, möglichst viele Informationen in ein kurzes Gespräch zu pressen.
Bei Radiolab steht immer das Gespräch im Vordergrund– es gibt eigentlich keine größeren Passagen, die über klassische Reporterstücke oder „nur“ gebaute Beiträge bestritten werden.
Die Dialoge ähneln hier viel stärker noch einem alltäglichen Gespräch als einem Kollegengespräch im Radio. Die beiden Hosts, Jad Abumrad und Robert Krulwich, fallen ihren Gesprächspartnern häufig ins Wort, unterbrechen und stellen Nachfragen. Jad und Robert sagen selbst, dass sie damit ein bestimmtes Ziel verfolgen: Sie wollen durch diese spontanen Elemente den Moment nachempfinden, als sie selbst zum ersten Mal von der Geschichte gehört haben.
Hier ein Beispiel aus der Show „Parasites“. (Mithören ist besser als nur zu lesen. Natürlich ist der ganze Abschnitt hörenswert. Mein Transkript geht fängt ungefähr bei 10m 43s an.)
In diesem Segment streiten sich Jad (JA) und Robert (RK) mit dem Wissenschaftsjournalisten Carl Zimmer (CZ) darüber, ob Parasiten eine niedere Lebensform sind. Lulu Miller (LM) soll zwischen den beiden vermitteln. Achtet vor allem auf die Fragen, die Jad und Robert stellen!
CZ: the sting err. actually sort of threads its way to a particular spot in the brain
LM: and this does something odd (hihihi), moments later
CZ: the cockroach recovers. sort of stands up it can walk again
LM: but something is WRONG. very wrong
CZ: it just stands there
LM: like: uhm, I’m awake but
CZ: it can’t run away
LM: can’t move
CZ: it has essentially lost its will
JA: what does that mean?
CZ: uhm.
RK: (flüsternd) it’s a puppet
CZ: yes. it’s it is a puppet. it’s become a zombie basically. and so now the wasp will literally grab on to:: the cockroach’s antenna and start pulling on it
JA: how does it grab? with what does it grab?
CZ: i believe with its mouth
JA: huuuh
LM: imagine a tiny wasp guiding a cockroach across the dessert floor
CZ: like a dog on a leash
LM: and so::: it leads it. down, down, down
CZ: down into a little burrow it has made and the cockroach says ok, wherever you wanna go
LM: then once the wasp has the roach in the burrow
CZ: it lays its eggs on the underside of the cockroach
LM: so now you’ve got this drugged roach sitting on top of some wasp eggs and then the wasp
CZ: goes out and in seals the burrow
RK: it buries the cockroach alive?
CZ: well it’s it’s an –
RK: or it just puts him in a cell?
CZ: it’s in a little chamber
RK: a little chamber …
CZ: it doesn’t wanna kill the cockroach because this cockroach is gonna feed its
RK: young
CZ: its young, yeah. so then the eggs hatch and then they drill inside the cockroach which is still just sitting there
JA: how is it staying alive at this point?
CZ: well parasites are very careful. you know they won’t eat vital organs that would kill it
Teilweise stellen Jad und Robert hier Fragen, die weniger auf einen maximalen Informationsgewinn gerichtet sind. Vielmehr sind das „natürliche“ Fragen, die auch dem Zuhörer – in einem persönlichen Gespräch – kommen könnten. Der kann sie aber in dem Moment nicht stellen. Also übernehmen die beiden das.
Ein anderes Beispiel stammt aus der Show „Talking to machines“. Hier wird besonders gut deutlich, dass es zu einem normalen Gespräch gehört, sich auch zu versprechen oder, dass man sich gegenseitig ins Wort fällt. ( Das Transkript fängt ab 13m 04s an.)
In dem folgenden Stück sprechen Jad (JA) und Robert (RK) mit Brian Christian (BC) über die Entwicklung des ersten Chatprogramms „Eliza“. Joseph Weizenbaum hatte es entwickelt und war selbst von den Folgen seines Programms erschrocken:
BC: one day, he comes into the office. aaaand
ST: his his secretary
BC: iiiis on the computer divulging her lifestory to it ((fade-out))
RK: according to weizenbaum she even told him to please leave the room, so she could be alone with it
ST: and talk to it .hhh and he, he uhm. he was very upset. nevertheless
RK: when word about eliza got out
BC: the medical community sort of latches onto it
((Musik))
JA: really?
BC: (and) says, oh this is gonna be the next revolution in therapy
MV: something new and promising in the field of psycho therapy ((fade-out, unverständlich))
RK: this is from a newscast round that time
BC: therapists in like phonebooths in cities and you’re gonna walk in and put i– a quarter in the slot and have you know half an hour of therapy with this automatic program
MV ((fade-in)): computer time can be rented for five dollars an hour and there’s every reason to suspect that it will go down significantly
JA: people really thought that they were gonna replace therapists with computers?
BC: absolutely!
JA: really?
RK: they did
BC: absolutely
RK: yeah
BC: uhm and it was just this reallyyy. uh, uh (apollo) moment for weizenbaum of there’s something. th-the genie is out of the bottle maybe in a, in a bad way. aaand he does this one-eighty of his entire career. so he pulls the plug on the program, he cuts the funding a::nd he’s goes from .hh being one of the main advocates for artificial intelligence to basically committing the rest of his careerto fighting against artificial intelligence
Jad fragt drei mal nach, ob Wissenschaftler damals glaubten, damit eine billige Variante für Psychotherapie gefunden zu haben. In einem anderen Programm hätte man den Fakt wahrscheinlich auch erwähnt, aber bestimmt nicht mit so viel Nachdruck …
Was heißt das jetzt? Ein Gespräch nur um des Gesprächs-Stils Willen zu haben, ist keine besonders gute Lösung. Wenn jede Frage quasi nur dazu dient, den maximalen Inhalt zu transportieren, ist das kein natürliches Gespräch.
Stattdessen sollte man versuchen, weniger nach Radio klingen zu wollen und sich mehr auf das Gespräch zu konzentrieren. Ein Gespräch darf auch so klingen: Nachfragen müssen nicht immer nur präzisieren oder konkretisieren. Sie können auch einfach nur Nachfragen sein. Und obwohl wir alle täglich ständig reden, ist es viel schwerer, genau das ins Radio zu bringen, als nur ein Interview zu führen.
Radiolab ist großartig! Die Kollegen haben jede Summe verdient. Um dort hin zu kommen, müssen wir Radioleute hierzulande jede Menge Balast über Bord werfen. Übrigens versuchen Martin Winkelheide und ich das in unserer kleinen Reportagereihe leo 2 go in Leonardo (WDR 5). Wir gehen mit dem Mikro in Situationen, die irgendwie mit Wissenschaft zu tun haben, und reden darüber. Besonders schräg und umstritten in der letzten Folge: Haut ohne Hirsch.
http://www.wdr5.de/sendungen/leonardo/s/d/03.12.2012-16.05/b/leo-2-go-lange-winkelheide-unterwegs-121203.html