Mehr hören. Mehr sehen. Mehr (mit)reden.

Mein Radio der Zukunft

„Sagt doch was zum Radio der Zukunft. Ganz individuell.“
Das war der Auftrag ans Orga-Team der 10. Tutzinger Radiotage.
Wir sollten „Visionen zum Radio 2020“ formulieren.

Nun sind Visionen für eine Hörfunkerin naturgemäß eine schwierige Sache und Vorhersagen nicht wirklich mein Ding. Aber Visionen, das könnten ja auch meine Wünsche fürs Radio 2020 sein. Und da hätte ich ein paar. Motto: Mehr hören. Mehr sehen. Mehr (mit)reden.

Mehr Hören.

Ich will mehr Ungewöhnliches hören. Mehr wirkliche Radiophones. Modern erzähltes. Gestaltetes.

Denn vieles im deutschen Radio ist mir zu 08/15. Mir ist oft zu wenig Sound. Zu wenig Spiel mit dem Ohr. Eben zu wenig Radiophonie. Selbst da, wo man’s erwarten würde – bei langen Features – ist die Gestaltung oft sehr traditionell. Man vertraut auf Sprecher und klassischen O-Ton-Einsatz. Die Texte sind oft „kulturig“ akademisch. Das Erzählende kommt mir meist zu kurz. Und mir fehlen vielfach Komposition und Klang.

Ausnahmen gibt’s natürlich. Auch bei kurzen Stücken. „Ein blutiges Laken“ vom rbb zum Beispiel – schon ein paar Jahre alt und 2010 bei den Tutzinger Radiotagen gehört – ist für mich immer noch wegweisend. Ein Stück, das zeigt, was Radio kann.

Dennoch traurig, dass sowas in Deutschland nicht mehr Furore macht, dass solche Beispiele nicht systematisch erarbeitet werden. In den USA und Kanada ist das anders. Die Amerikaner machen Hollywood fürs Ohr. Sie nutzen alles, was das Medium Radio kann, und verpacken auch anspruchsvolle Themen höchst populär und publikumswirksam. (Und das obwohl – oder gerade weil? – die Machart oft so ziemlich allem widerspricht, was deutschen Radiomachern beigebracht wird.) Beispiele: Radiolab, The Truth, The Signature Series.

Und ja: Die Amerikaner reden darüber. Tauschen sich aus. Pflegen ihr radiophones Handwerk in vielen öffentlichen Einrichtungen, Communities und Foren. Beispiele: howsound.org, transom.org.

Dort werden permanent die neusten Möglichkeiten des Storytelling, des Soundgestaltung, der Radiophonie präsentiert. Das, was ich mir fürs Radio der Zukunft wünsche, ist da schon Gegenwart.

Mehr hören, das heißt für mich auch: Mehr hören KÖNNEN. Und zwar jederzeit, das was mich interessiert.

Klassischer Fall: Bei mir soll’s heute Forelle geben. Und in der Küche ist alles parat. Also: Herd an. Radio an. Aber da läuft nix, was mich anmacht.

Also mach ich mich auf die Suche nach einem Feature in Rezeptlänge: Ich geh ein paar Internetseiten durch. Sender für Sender. Ich klicke hier, ich klicke da und … gebe nach zehn Minuten entnervt auf. Denn gezielt Hörbares im Netz suchen und finden ist mühsam.

Auch, weil „Audio on demand“ bei vielen deutschen Sendern immer noch über reine Podcast-Angebote läuft. Und allein über RSS-Feeds. Wie das aussieht, weiß man:

Screenshot Podcasts WDR5

Eine Liste mit Titeln. Die Beiträge laufen allein nach Datum auf oder sind einzelnen Sendungen angehängt. Gute Teaser sind selten. Worum es genau geht und warum, bleibt oft unklar. Und häufig erfährt man in der Übersicht nicht mal, wie lang die Features sind. Kurzum: Ich tu mich schwer was Hörbares zu finden, das mich interessiert und zu meiner Forelle passt. Und die wenigsten Radio-Seiten machen Appetit aufs Hören.

Ausnahmen gibt es auch hier: Die modulare Seite von DRadio Wissen zum Beispiel. Schön nach Rubriken sortiert. Mit packenden Anreißern. Dennoch fehlt eine gute App. Erst die aber macht „Radio on demand“ wirklich bequem.

Gutes Beispiel: Das Angebot des National Public Radio (NPR). Das hat eine App, die einzelne Features, Beiträge, Geschichten, Nachrichten im übersichtlichen Schaltflächen-Look anbietet. Nach Themen, Rubriken, Genres sortiert. Leicht zu überschauen und auszuwählen. Mit Bildern und guten Texten angekündigt. Und sofort abspielbereit.

Screenshot APP NPR

Dennoch: Fürs Radio 2020 träum ich von noch mehr. Ich hätte nämlich gern ein „Radio-Spotify“ für Features, Beiträge, Nachrichten. Damit kann ich dann jederzeit aufrufen und auswählen, worauf ich grade Lust hab. Ich kann Beiträge nach Thema, Standort, Länge suchen, und kann deshalb hören was mich interessiert, in meiner Nähe spielt und nicht länger dauert als mein Fisch-Rezept. Und natürlich empfiehlt mir mein Radio-Spotify auch: „Wer diesen Beitrag gehört hat, hat auch diesen Beitrag gehört.“ Wundervoll.

Mehr sehen.

Ich wünsche mir fürs deutsche Radio 2020 auch, dass es mehr ins Auge sticht. Dass es sich im Internet besser verkauft. Dass es dort sichtbar wird. Denn bislang geht Radio da unter. Oder sagen wir so: Das Zuhören geht da unter. Audios gehen unter. Das, was wir Radiomacher eben herstellen, machen, auf Sendung bringen. Klar: Es wird Webradio gehört. Aber unsere Perlen, unsere schönsten Stücke verkaufen wir im Netz oft unter Wert, weil wir die Möglichkeiten, unsere Audios fürs Netz zu „pimpen“, zu wenig nutzen.

Auch da sind uns andere voraus. Die BBC zum Beispiel, die viel mit Audio-Slide-Shows arbeitet, einer Darstellungsform, die eindrucksstarke Fotos auf geniale Art mit fesselnden Tönen verbindet und die Lust aufs Zuhören macht. Eigentlich ideal fürs Radio.

Bahnbrechend außerdem die Beispiele US-amerikanischer Radiomacher, die Tonaufnahmen zu animierten Filmen weiter verarbeiten. Erstaunlich dabei: Man hat das Gefühl „Radio zu schauen“, nicht einen Film zu sehen. Denn das, was Radio ausmacht – die Nähe, die Intensität, die Intimität – bleiben erhalten.

Mehr (mit)reden.

Ich will als Hörerin 2020 gehört werden. Nicht immer. Aber immer öfter. Ich will unkompliziert und schnell Anmerkungen machen können zum Programm und vielleicht auch mitwirken.

Crowdradio, die preisgekrönte App fürs Mitmach-Radio und die innovativen Kollegen von detektor.fm zeigen ja bereits, wie’s geht.

Trotzdem fehlen mir manchmal ganz einfache Sachen. Warum zum Beispiel kann ich bei meinem „On demand“-Feature keinen Kommentar direkt zum Audio geben? Also wie bei soundcloud, wo User an jeder beliebigen Stelle kommentieren können, wie genau sie diese Stelle grade finden.

Ich jedenfalls, die ich es liebe, wenn ein Feature gut komponiert, gut getextet, hintergründig erklärend ist, fände es wundervoll, punktgenaue Anmerkungen machen zu können. So, wie ich eben auch einem Freund, der mir ne coole Geschichte erzählt, Rückmeldung gebe. Und zwar immer dann, wenn sich’s aus seiner Erzählung ergibt. Zuhören ist auf die Art deutlich weniger passiv. Auch am Rechner (wo Audios wie gesagt oft zu wenig attraktiv sind).

Übrigens: Mehr mit(reden). Damit meine ich auch: Mit bestimmen.

Denn ich will 2020 mein eigenes Radio machen. Mein Programm. Selber zusammenstellen. Aus meinen Lieblingssendungen, Lieblingsthemen, Lieblingsmoderatoren, Lieblingsmusiktiteln. Und zwar als eine Art Dauerangebot, in dem zum Beispiel immer morgens um 7 Uhr 20 Nachrichten kommen (da stehe ich auf) und ab 8 die wichtigsten aktuellen Beiträge über Tübingen laufen. Am besten rund 20 Minuten lang (da bin ich zu Fuß auf’m Weg zur Arbeit).

Zugegeben: Auch das ist nicht besonders visionär. Denn das DoItYourself-Radio, das so einen individuellen Programm-Mix erlaubt, gibt es ja schon. (Und der Erfinder, Dominik Born ist dazu auch Gast bei den Tutzinger Radiotagen.) Jetzt muss das alles „nur noch“ besser, schöner, einfacher, mobiler werden. Radio 2020 eben. Wir hören, sehen, bereden uns.

+++ Und was geht jetzt grade bei den 10. Tutzinger Radiotagen? Siehe Twitter #tura13!+++

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