…schlimm, aber schön!
RadiomacherInnen und ihre Anfänge – eine Mutmachserie.
„Mit der Stimme wird das nie was.“
„Fürs Radio hast Du kein Talent.“
„Mit der Spreche bleiben Sie besser bei der Zeitung.“
Mit solchen Sätzen enden viele Radiokarrieren ehe sie begonnen haben. Leider. Denn in Wahrheit kann (und muss) man alles, was nötig ist, um gutes Radio zu machen, einfach lernen: Besser sprechen. Besser texten. Besser schneiden. Eben: Bessere Beiträge machen.
Und deshalb heißt mein Credo: Lust auf Radio? Dann machen. Und lernen, es gut zu machen.
Denn wahr ist: Fast alle Radioprofis haben schlimme Anfänge hinter sich. Erstlinge, die sie in dunklen Schubladen und noch dunkleren Kartons vergraben. So schrecklich sind sie.
Und doch so schön. Denn in den meisten Fällen merkt man erst durchs Anhören der alten Stücke: Wow! Ich hab ja was gelernt. Aus meinen Fehlern.
Und weil es noch schöner ist, aus den Fehlern anderer zu lernen (und klar: auch, sich drüber zu amüsieren), startet hiermit
der Sommer der schönschlimmen Anfänge.
Ein Sommer, für den einige KollegInnen ihre dunklen Schubladen und noch dunkleren Kartons geleert haben. Auch ich:
Gefunden habe ich dabei wirklich meinen allerallerallerersten Beitrag:
„Figurensammler Kurz“ (Radio R.T.1 Nordschwaben, 18.09.1992)
Und eins vorneweg: Ich war 19 und brauchte kein Geld, aber einen Job. Ich war frisch gebackene Abiturientin und wollte Journalistin werden. Dass mir das noch junge Lokalradio in Donauwörth eine Chance gab, fand ich umwerfend. Dass es den Erstling tatsächlich gesendet hat, finde ich heute (mehr als) erstaunlich.
Wie ist das Stück entstanden?
Ich hatte das Thema selber vorgeschlagen: Ein alternder Steinmetz aus meinem Heimatdorf wollte alte Lenin- und Stalin-Figuren in die bayerische Provinz holen. Statuen, die beim Zusammenbruch des Ostblocks gestürmt und niedergerissen wurden. Dass er damit einen Skulpturenpark einrichten wollte, hatte schon für Schlagzeilen gesorgt.
Die Redaktion wusste das, drückte mir einen Kassettenrekorder in die Hand und sagte: „Mach mal.“ Viel mehr Anleitung war nicht. „Sprich mit ihm. Frag ihn, warum, wieso, weshalb das Ganze. Dann komm wieder.“ Wie man O-Töne schneidet – an der Bandmaschine – hatte man mir schon gezeigt. Die Schreibmaschine fürs Manuskript auch.
Was würde ich heute anders machen?
Alles. Fast alles. Vor allem aber das:
Die O-Töne! Denen fehlt Leben. Warum – in Gottes Namen! – hab ich den Steinmetz nur am Schreibtisch interviewt? Seine Skulpturen, seine Herzensstücke, stehen draußen auf seinem Firmengelände. Natürlich würde ich genau da heute mit ihm hingehen. Ich würde mir zeigen lassen, warum er sie für erhaltenswert hält. Ich würde sie mit ihm anschauen und versuchen eine lebendige Szene festzuhalten, nicht nur trocken-theoretische Antworten aufnehmen. Vielleicht hätte sich sogar eine direkte Begegnung mit einem Passanten ergeben….tja..
Deutlich kürzere O-Töne. Die Dinger sind alle um die 30 Sekunden lang und mäandern so beliebig dahin. Zugegeben: Zu Zeiten der Bandmaschine, war man nicht ganz so schnittfreudig wie heute. War ja auch nicht so einfach. Dennoch: Die Töne sind reichlich unpointiert. Vermutlich auch, weil ich wenig pointierte Antworten auf wenig pointierte Fragen bekommen hatte. Ich erinnere mich, dass ich das Gespräch begonnen habe mit so was wie „Erzählen Sie mal.“ Aua.
Anders Texten. Mündlicher. Nicht so viel Kleinkram verquast nacherzählen. Meine Zwischentexte wirken wie Lückenfüller. Und nicht mal gute. Sie sagen oft das, was schon im O-Ton war oder gleich kommt. Oder sie gehen in Details, die kein Mensch versteht. Irgendwie wirr.
Dem Beitrag einen Schluss geben. Aber na ja. Vielleicht hat das ja ein/e Moderator/in übernommen. Hoffe ich jedenfalls.
Und ach ja:
Anders sprechen würde ich heute. Etwas. Die Sprecherziehung hat da viel geholfen. Wenngleich ich bei meinem Reporterreisen für den SWR auch heute noch höre: „Sie sind die mit dem rollenden R.“ Und dann schütteln mir die Hörer begeistert die Hand: „Schön Sie mal kennen zu lernen, Frau Müller.“
Manche frühen Fehler werden später also einfach Markenzeichen. Über den Rest lacht man. Und lernt weiter.
Sandra Müller liebt Radio-Hören und -Machen. Schreibt, twittert, facebooked deshalb darüber. Hat aus dem dringenden Wunsch, Radio zu machen, mit 19 eine Volksmusiksendung moderiert. Wurde im Freundeskreis dafür verlacht. Würde alles wieder genau so machen. Bis auf die Fehler natürlich.
In der nächsten Folge „Mein erstes Mal…“:
Die schönschlimmen Anfänge von Simon Kremer.
Mit Kühen und Kängurus und leicht übersteuerten Aufnahmen.
Weitere schönschlimme Erstlinge erwünscht. Hier lang, bitte.
Zu allen bisherigen Erstlingen da lang.
Tolle Idee, diese Erinnerungskiste.
Mein erstes Stück habe ich auch noch in der Kiste.
Habe es während meines Besuchs bei einem Kollegen „nebenbei“ geschrieben, statt solange zu warten, bis er Feierabend hat und nicht damit gerechnet, dass es noch am selben Abend gesendet werden sollte.
„Geh‘ mal ins Studio und sprich den Text“ habe ich, der nie ein Sprachtraining hatte lieber verweigert und den Text von einem erfahrenen Kollegen sprechen lassen. Deswegen hat mein erster Beitrag eine fremde Stimme.
Die Tatsache aber, dass mein Mini-Feature über Benito Mussolini, inklusive historischer O-Töne keiner Korrektur bedurfte und ungekürzt in der ARD gesendet wurde, war die Initialzündung, dem ersten Beitrag weitere, dann selbstverständlich selbstgesprochene folgen zu lassen, um drei Jahre später dem Schreibtisch in der Zeitungsredaktion Adieu zu sagen und zum Hörfunk zu wechseln.
Ein Schritt, den ich auch 30 Jahre später nie bereute.