(Gute) O-Töne sammeln, ist anspruchsvoller als man denkt.
Das wissen jetzt auch die Radioanfänger aus meinem Einsteigerkurs an der Uni Tübingen. Ihre Erfahrungen. Meine Tipps.
- Teil 1:
- Was, wenn der Gesprächspartner nicht auf die gestellten Fragen antwortet?
- Was, wenn ich mich nicht sicher fühle in meiner Rolle als Reporter?
- Was, wenn mein Gesprächspartner nur langweilige O-Töne liefert?
„Unser Gesprächspartner – ein älterer Herr – hat nie auf unsere Fragen geantwortet. Er hat immer nur erzählt, was ER wollte. Als hätte er die Fragen nicht gehört.“
Das gibt es häufiger. Nicht nur bei älteren Herren. Auch bei Politikern.
Dann heißt es: Dran bleiben! Und nicht vergessen, was man eigentlich wissen wollte. Oft lässt man sich nämlich von der Antwort „wegtragen“. Vor allem dann, wenn man nicht gut vorbereitet ist auf des Gespräch. Wenn man selber nicht weiß, worum es gehen soll.
Deshalb: Geht mit einer klaren Überschrift ins Gespräch. Fasst Euer Anliegen in einen einfachen und kurzen Satz. Worum geht es Euch? Zum Beispiel: „Wir wollen wissen, wie man vor 50 Jahren im Tante Emma-Laden eingekauft hat.“
Wichtig: Scheut Euch nicht, Eure Frage(n) mehrfach zu stellen. Es ist Euer Job, am Thema zu bleiben. Ihr könnt das erstmal ganz unauffällig machen und die Frage einfach in etwas andere Worte gekleidet wiederholen: „Wer hat den früher bei Tante Emma eingekauft?“, „Wer kam denn als Kundschaft zu Tante Emma?“, „Heißt das: Bei Tante Emma haben vor allem die Leute aus dem Dorf eingekauft?“ Sollte das alles nix helfen, dann durchaus auch offen das Anliegen ansprechen: „Sie wissen ja: Uns geht es darum, zu erfahren, wer im Tante Emma-Laden eingekauft hat.“ Und ganz im Notfall darf’s auch mal eine Regieanweisung sein: „Könnten Sie vielleicht nochmal ganz konkret sagen, wer früher im Tante Emma-Laden eingekauft hat?“ Doch zugegeben: Sehr elegant ist das dann nicht mehr und natürlich birgt es die Gefahr, den Gesprächspartner zum reinen „Textlieferanten“ zu machen. Das soll eigentlich nicht sein. Die Regieanweisung sollte also wirklich das letzte Mittel sein.
Bei Medien-Profis (Politikern, Presseprecherinnen,…) darf man außerdem ruhig offen ansprechen, wenn sie Fragen noch nicht beantwortet haben. („Aber meine Frage war ja…“, „Noch nicht beantwortet/erklärt haben Sie jetzt…“) Das „Sich-Herumdrücken“ und Ausweichen ist dort nämlich nicht selten eine gezielte Strategie. Die darf/muss man dann auch entlarven.
„Ich weiß nicht, wie ich mich gegenüber meinen zumeist älteren Gesprächspartnern verhalten soll. Ich will ja was von denen und denk mir dann immer: Denen kann ich nicht so auf die Pelle rücken. Ich hab einfach Respekt.“
Respekt vor dem Gesprächspartner ist gut, Ehrfurcht ist falsch.Als Reporter will ich nicht nur was von meinem Gegenüber, ich gebe ihm auch was: Öffentlichkeit. Und idealerweise hat der Reporter seinem Gegenüber ja vorher erklärt, worum es geht und nach welchen Spielregeln.
Doch zugegeben: Gerade der Umgang mit Medien-Laien verlangt Fingerspitzengefühl. Von der weit verbreiteten „Hier-bin-ich“-Haltung und „Jetzt machen Sie das mal so“-Ansage halte ich deshalb nicht viel. Denn als Reporter ist man oft ein Fremder, der nach ganz persönlichen Dingen fragt. Der was besonderes wissen will. Empathie, Einfühlungsvermögen und auch respektvolle Geduld sind deshalb eine Grundvoraussetzung für gute O-Töne. Außerdem soll der Gesprächspartner ja hinterher nicht sagen: „Oje. Ein Radioreporter kommt mir nicht mehr ins Haus.“
Generell gilt: Ein Reporter muss ein guter Small Talker und Rollenspieler sein. Denn er muss schon VOR der eigentlichen Aufnahme einen Draht zu den Gesprächspartnern finden. Er muss wissen, wie der tickt und wo er zu packen ist. Das nämlich erst entscheidet, welche Rolle man als Reporter in dem Gespräch am besten einnimmt: Ist man Stichwortgeber oder „Aus-der-Nase-Zieher“? Ist man Richtungsgeber oder Bremser? Gibt man den ahnungslosen Frager oder die sachkundige Fachfrau? Das hängt ganz davon ab, worauf der Gesprächspartner besser reagiert. Und wenn’s ein älterer Herr ist, der Dein Opa sein könnte, dann muss man vielleicht sogar mal die Enkelin geben, die ganz naiv, aber eben auch direkt fragt. Wie gesagt: Respekt. Nicht Ehrfurcht ist gefragt.
„Unsere Gesprächspartnerin wollte überhaupt nix Persönliches erzählen. Immer nur Allgemeines. Und nix Konkretes. Sie sprach auch immer so monoton. Total ungerührt.“
Nicht jeder Gesprächspartner ist ein guter Erzähler. Und in der Tat gibt es Menschen, die reden immer nur über Fakten, nie über Persönliches, nie über Emotionen. So wie der Flugzeugkonstrukteur, dem ich einen begeisterten Satz über seine (unbestreitbare) Liebe zum Fliegen entlocken wollte, dem aber immer nur Zahlen und Namen über die Lippen kamen: „Ja, das ist eine Maschine mit 150 PS. 1950 gebaut. Konnte 750 Kilometer fliegen mit einer Tankfüllung. Bis zu 250 Stundenkolimeter schnell. Ein Schulterdecker.“ Die Antworten klangen wie aus dem Lexikon. Dabei hatte der Mann die Maschine selber konstruiert. Jetzt sollte das einzige noch existierende Exemplar zu einer Flugvorführung kommen. Da hatte ich auf große Emotionen gehofft. Auf O-Töne, in denen von Vorfreude die Rede ist oder von bewegenden Erinnerungen an Konstruktion und Erstflug damals. Aber: Nichts. Und keiner meiner Tricks half. Soll heißen: Es gibt keine Garantie, aber oft hilft
- Konkret nach Emotionen fragen:
„Wie war das damals, als das Flugzeug zum ersten Mal abhob?“
„Wie ist das für Sie, das Flugzeug jetzt wieder zu sehen, nach so langer Zeit?“
- Um die Ecke fragen/das Ereignis an den emotionalen „Rändern“ abfragen:
„Wie haben Sie den Premierenflug damals gefeiert?“
„Würden Sie denn selber gerne wieder mitfliegen?“
„Haben Sie die Sektflasche zur Feier des Tages schon kalt gestellt?“
- Suggestiv fragen/Vermutungen in den Raum stellen:
„Ihre Enkel sind doch bestimmt stolz auf den ‚Flieger-Konstruktions-Opa‘?“
„Die Pläne von damals haben sie vermutlich noch mal rausgekramt, jetzt vor der Rückkehr?“
- Eine emotionale Situation schaffen:
„Können wir mal gemeinsam auf die Pläne von damals schauen? Was war den besonders knifflig?““
„Gibt’s Fotos vom Erstflug? Können wir uns die mal gemeinsam anschauen? Was sind das für Momente?“
(Zur grundsätzlichen Frage, welche Funktion O-Töne im Beitrag haben und warum sie idealerweise mehr liefern sollten als Fakten: „Radio machen„, S. 45ff.)
Mehr Tipps zum O-Töne-Sammlen hier in: „Mikro hinhalten reicht nicht (Teil 2)“
Drei Fragen funktionieren meistens:
1: Persönlich: Welches Schlüsselerlebnis bewegte Sie zu Ihrer Idee?
2: Technische Interna: Was würden Sie heute anders konstruieren (und warum gelang das damals nicht)?
3: Feenfrage (geht immer): Wenn ich die gute Fee wäre, und könnte Ihnen die Lösung eines (noch ungelösten) Problems erfüllen. Welches wäre das und warum?