Radio steht nicht unter Naturschutz.
Ein Gastbeitrag von Frank Rugullis
90 Jahre Radio ist in diesen Tagen ein großes Thema. Was mich wundert, ist ein gewisser Unterton, eine gewisse Ansprechhaltung. Viele Wortmeldungen klingen nach meinem Eindruck so, als ob das Radio unter Naturschutz steht. Als ob es um eine bedrohte Art geht, die man retten muss. „Habt ihr eine Idee, wie das Radio der Zukunft aussehen könnte?“
Haben Journalisten die Aufgabe, das Radio zu retten, dem Radio eine Zukunft zu geben? Haben Journalisten die Verpflichtung, sich allein für einen Ausspielweg stark zu machen? Ist die Frage nach der Zukunft des Radios nicht aus einer falschen Perspektive gestellt?
Die Debatte 'Zukunft des Radios' ist mir zu einseitig. Spannend sind Inhalte, egal wo. #90JahreRadio
— Frank Rugullis (@Rugullis) October 29, 2013
Dies ging mir durch den Kopf in den letzten Tagen und ich werde das Gefühl nicht los, dass wir falsch liegen. Als Journalisten wollen wir, dass unsere Themen, unsere Geschichten Menschen erreichen und zwar möglichst viele. Und wir wollen Reaktionen auf unsere Arbeit, ja durchaus auch etwas bewegen. In Zeiten der Digitalisierung stellt sich aber nicht erst seit heute die Frage, wie all dies noch zu erreichen ist.
Als Journalisten stehen uns nicht nur bei MDR SACHSEN-ANHALT alle Ausspielwege zur Verfügung, also Radio, Fernsehen und Online mit den sozialen Netzwerken. Und wir haben Kollegen, die täglich Geschichten nachgehen. Und in einem langen Prozess, der auch bei MDR SACHSEN-ANHALT längst nicht abgeschlossen ist, haben wir damit begonnen, ein Bewusstsein bei Autoren zu schaffen, das unabhängig vom Ausspielweg ist. Im Vordergrund sollte stets gute Story stehen und nicht die Struktur der Redaktionen.
Warum eine Geschichte mal nicht zuerst bei Facebook verbreiten und dort erste Reaktionen einholen? Oder warum nicht eine Story von einem Radioautoren zuerst mit einer Onlineseite samt Audio verbreiten und erst später den Radiobericht folgen lassen angereichert mit den Reaktionen aus sozialen Netzwerken?
Hörfunkdirektor Hug:"Warum stellen wir diese aufgezeichnete Sendung nicht schon vorher ins Netz?"Genau! http://t.co/ROhs79Sac1 #radiozukunft
— Sandra Müller (@radiomachen) October 28, 2013
Dann stellt sich natürlich für die Zukunft die nächste Frage: Sollen die besten Radiogeschichten ins Netz oder sollen alle Geschichten ins Netz und nur die besten davon ins Radio? Oder sind aus einer Journalisten-Perspektive Radio und Internet nicht längst eine Einheit, die man nur zusammen betrachten sollte?
Medienhäuser machen gerade die Erfahrung, dass viele neue junge Kollegen längst medienübergreifend denken und arbeiten wollen. Und dass Medienverantwortliche dafür sorgen müssen, dem Nachwuchs genau diese Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen, um die besten jungen Journalisten nicht an andere Arbeitgeber zu verlieren.
Und wenn man die Frage nach der Zukunft allein des Radios vom Anfang betrachtet, dann denke ich, dass man diese Frage so in dieser Form nicht mehr stellen sollte. Ob Radio in Zukunft ein Massenmedium bleibt, wenn die Digitalisierung voranschreitet und sich vor allem immer mehr junge Leute abwenden, weiss ich nicht. Aber wenn das Radio Teil eines vernetzten Medienhauses ist und man die Stärken des Radios in einem multimedialen Storyplan einsetzt, dann bin ich mir sicher, dass Radio ein zumindest interessanter Ausspielweg bleiben wird.
@FelixHuegel Wir sollten nicht um ein Medium kämpfen, sondern um Inhalte und zwar dort, wo Nutzer sind. Egal wo.
— Frank Rugullis (@Rugullis) October 29, 2013
Klar ist Radio auch Lebensgefühl, im besten Fall ein Familienmitglied. Wenn es spannende Thementage gibt mit Inhalten dazu und der passenden Musik – dann sind das Sternstunden des Radios. Nur sind das Nutzungsgewohnheiten von jetzt vielleicht 40-Jährigen.
Spannende Audios in Online-Nachrichtenartikeln hören, ist auch Radiohören. Genauso wie ausgewählte Radio-Playlisten bei Spotify, wie es detektor.fm vormacht. Radiohören ist auch das Vertwittern von Audios. Warum denn nicht?
Aus meiner Sicht muss das Radio solche Experimente wagen und sich nicht mehr auf das reine Radiomachen im Radio fokussieren. Und es ist richtig, wenn sich Autoren vom Ausspielweg Radio lösen und sich auf den Kern ihrer Geschichten konzentrieren und danach mit einem multimedialen Team nach den jeweils besten Ausspielwegen suchen, nur im Radio oder zusammen mit Online und Fernsehen.
Über den Autor: Frank Rugullis ist seit 1992 beim Mitteldeutschen Rundfunk. Bei Fernsehen, Hörfunk und Online. Bei MDR SACHSEN-ANHALT verantwortlich für trimediale Projekte. Unter anderem mit Martin Hoffmann für das Projekt @9Nov89live. Bloggt und twittert.