Audios als bewegte Schrift (und mehr)
So werden O-Töne im Netz sichtbar
Manchmal packt es mich. Dann muss ich das, was ich anderswo gesehen habe, selber ausprobieren. Zum Beispiel: Schriftanimationen. Die faszinieren mich schon lange. Denn oft wirkt Gesagtes noch intensiver, wenn es zusätzlich als Schrift erscheint.
Auf youtube gibt es längst eine eigene kleine Szene, die zum Beispiel Filmdialoge verschriftbidlicht, oft auch Gedichte, selten O-Töne. Aber warum eigentlich? Und hätten nicht gerade Radiomacher immer wieder ungewöhnliche O-Töne, die man auf die Art für Netz pimpen könnte? Doch! Finde ich.
Also habe ich es nun endlich einfach ausprobiert. Mit einem Mini-O-Ton aus einem Interview mit dem Schauspieler Uwe Friedrichs.
Erstes Fazit:
- Viel Arbeit: An dieser 35-Sekunden-Animation habe ich (mit Adobe After Effects und unter Anleitung eines Dozenten) acht Stunden gearbeitet. Denke aber, dass das mit mehr Routine auch in vier oder fünf Stunden zu schaffen ist.
- Großer Spaß, viele Möglichkeiten: Man kann dem Gesagten durch die Animation eine weitere Dimension verleihen. Die kann – wie in diesem Fall – humoristisch sein. Die könnte aber auch pathetisch, spannend, schockierend sein.
- Weniger ist mehr: Längst nicht alles Gesagte muss und soll Schrift werden. Besser mann lässt ab und zu eine Lücke und sucht andere Formen der Animation: Bilder, Piktogramme, Collagen,.. Oder man wählt gerade dann denn bidlichen Stillstand, wenns im Audio wichtig wird. Wer dagegen zu viel animiert, lenkt ab vom Audio. Dann ist der Effekt dahin.
Und wie könnte man das jetzt im Radioalltag einsetzen?
Vermutlich nur als Extra für die O-Ton-Perlen. Als Sahnehäubchen fürs Besondere. Aber das eben konsequent. Ich jedenfalls könnte mir vorstellen, dass der erste Sender, der auf die Art einen „O-Ton der Woche“ präsentiert, im Netz punkten könnte.
Ich glaube sogar, so was könnte markenprägend sein. Denn Animationen dieser Art sind (noch) selten. Aber sie sind stilistisch vielfältig und variabel. Ein Radiosender könnte also einen eigenen Animationsstil ausprägen und seinen Sound in einen Look übersetzen, der immer noch klingt.
Und genau das halte ich für wesentlich: Radio sollte Formen finden, die im visuell geprägten Netz, Hingucker sind, aber Lust aufs Zuhören machen. Formen, die quasi sichtbares Radio bieten, die „trotz“ Bilderangebot radiophon bleiben und das vermitteln was vor allem Radio kann: Persönlichkeit, Stimme, Nähe, Erzählung.
Bewegte Schrift halte ich deshalb für eine gute Art, Radio ins Netz zu verlängern – neben Audio-Slide-Shows und anderen Formen der Audio-Animation, versteht sich.
wow, cool! wirkt ganz schön betonend. im filmschnitt würde man das wohl „micky-mousing“ nennen. :-) deshalb ists wohl vor allem als „gewürz“ geeignet. aber als stilbildende maßnahme sicher sehr cool!
Spannende Idee, das ist gar keine Frage. Praktikabel? Als Standard-Tool? Ich weiß nicht. Du gibst ja selber eigentlich schon die Antwort: 4-5 Stunden, um einen einzigen O-Ton fürs Web aufzubereiten, da dürften Aufwand und Ergebnis für die wenigsten Redaktionen in einem annehmbaren Verhältnis stehen.
Ich sehe auch ein weiteres Problem dabei: Diese Art der Animation hat eine starke Tendenz zum Humoristischen. Sehr schöne Beispiele hat übrigens die Redaktion der Lateline mit Jan Böhmermann geliefert mit den Städteporträts (Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=CberqZEfIAo) – Auch da: ganz klar die lustige Fraktion.
Ein Grundproblem löst aber auch diese Form nicht. Ich beispielsweise habe vor Tagen diesen Post gelesen, aber nicht das Video angeguckt. Vermutlich, weil ich gerade in der Straßenbahn stand, als du’s gepostet hast, oder im Büro saß, die Kollegen nicht nerven und keinen Kopfhörer aufziehen wollte. Weißt du, was ich an der Stelle gerne gehabt hätte? Einen ganz banalen Text. Einfach so. Lesen. Ich lese gerne. Andere auch. Aus Radiobeiträgen und Interviews lassen sich ganz prima Texte machen oder – noch besser – aus demselben Recherchematerial lassen sich sogar richtige Online-Texte machen, die keine umgebauten Radiotexte sind. Das dauert in diesem konkreten Fall auch deutlich weniger lang als die von dir veranschlagte Zeit.
Jetzt kommst du natürlich und sagst mir: Hey, aber dann hast du ja nicht die Stimme von dem Typ gehört, weißt nicht, an welchen Stellen er Pausen macht, wie er was betont, hörst die Atmo nicht… Sage ich: Ja. Da hast du recht. Bei einem kleinen O-Ton lebe ich entweder damit oder höre ihn mir doch einfach an. Schließlich wirst du mir den O-Ton ja wahrscheinlich noch zusätzlich zum Text anbieten. Bei längeren Geschichten, die von der Atmo leben (Feature, Reportage), könnte man dann aber auch mal richtig Aufwand treiben und sie samt Atmo und O-Tönen sehr schön und publikumswirksam als Scrolldoku (auch oft als „Storytelling“ tituliert) umsetzen. Stell dir einfach „Snow Fall“ oder diese Schalke-Reportage des WDR mit O-Tönen statt Videos vor.
Wie gesagt: Ich mag deinen Versuch sehr. Passt zu dem Thema auch, und vielleicht mag das tatsächlich eine praktikable Form für ein festes, kleines Online-Format sein. Ich würde es eben nur nicht generalisieren.
Abgesehen davon finde ich großartig, dass du was ausprobierst und keine Angst vor Adobe-Monstern und Bildern hast. Ich glaube, wenn was das Radio retten kann, dann genau diese Haltung.