Von der Faszination, Betroffene und Augenzeugen zu interviewen.
Und warum man COSTA CONCORDIA-Urlauber trotzdem nicht fragen sollte, wie sie sich fühlen.
„Wir haben da einen Gesprächspartner, der hat das Schiffsunglück vor Italien selber miterlebt. Morgen. Live. 7 Uhr 40“
Die Redaktion ist stolz, den Mann gefunden zu haben. Und ja: Als Moderatorin bin ich selber neugierig. Was hat dieser Mensch erlebt? Wie hat er den Unfall empfunden? Und: Wie fürchterlich muss es wohl sein, wenn der Urlaub zum Albtraum wird? Doch: Halt.
Genau hier fängt es an, schwierig zu werden. Denn: Wie viel kann, will und soll der Gesprächspartner darüber erzählen? Darf man einen aufgewühlten Augenzeugen, der traumatisiert sein könnte, überhaupt interviewen? Durchaus. Aber bitte nicht fragen, wie er sich fühlt.
Denn falsche Fragen könnten traumatisierte Gesprächspartner noch stärker traumatisieren.
In vielen Redaktionen ist darüber kaum etwas bekannt. Doch Psychologen und Trauma-Experten berichten schon lange, dass Journalisten Schaden anrichten können, wenn sie Opfer und Augenzeugen allzu sorglos nach Gefühlen und Emotionen fragen.
Gerade dieses „Wie fühlen Sie sich jetzt?“, „Wie geht es Ihnen jetzt?“ ist für viele Menschen, die Schlimmes erlebt haben, belastend. Es wühlt auf. Es ruft genau das ab, was sie möglicherweise los werden wollen: Sorgen, Ängste, Beklemmungen. Es bringt sie den Tränen nahe. Nicht selten sogar zum Weinen. Die Gesprächspartner fühlen sich (erneut) hilflos.
Experten raten deshalb zur Vorsicht. Ihr Tipps lauten vor allem:
- Nicht explizit nach Gefühlen fragen. (Selbst die höflich gemeinte Einstiegsfloskel „Wie geht es Ihnen“ kann traumatisierte Gesprächpartner erschüttern.)
- Nicht nach emotionalen Details der belastenden Erlebnisse fragen. Nicht nachbohren.
- Den Gesprächspartner nicht als „Opfer“ behandlen, das beschreiben soll, was es Schreckliches erlebt hat, sondern eher als „Experten“ für das Geschehene. („Die Rettungsaktion soll chaotisch verlaufen sein, hört man. Deckt sich das mit dem, was Sie erlebt haben?“)
- Bewertende Beschreibungen der Ereignisse vermeiden. („Schreckliches Unglück“, „fürchterliche Ängste“)
- Ein Stopp-Zeichen vereinbaren, mit dem der Gesprächspartner das Interview abbrechen kann.
Mehr zum Thema „Richtiger Umgang mit möglicherweise traumatisierten Gesprächspartnern“ gibt’s beim Dart Centre für Journalismus und Trauma, einem Netzwerk, das sich der sensiblen und sachkundigen Berichterstattung über Tragödien und Gewalt verschrieben hat.
Außerdem lesenswert:
„Nun erzählen Sie doch mal!“ – Interview mit der Trauma-Expertin Kerstin Stellermann. ZEIT-Online. 4.8.2010. Als Reaktion auf die Berichte über die Love-Parade-Katastrophe.
„Acht Regeln für Amokberichte“ – Regeln, die Psychologen, Schüler, Lehrer und Eltern in Winnenden zum Jahrestag des Amoklaufs erarbeitet haben. Medium Magazin 03/2010.
„Sie sehen aber schlecht aus.“ – Ulla Fröhling über Verantwortung und Regeln beim Umgang mit Opfern. messaGe werkstatt 4/2006. Erschienen als Reaktion auf Interviews mit Natasche Kampusch und Susanne Osthoff.