Geheimnisse eines Rom-Korrespondenten.
Stefan Troendle erklärt, wie er sich auf das „Habemus Papam“ vorbereitet hat.
Selten war ich den Radiokollegen so Gram wie am Abend dieses 13. März, als sie eine der spannendsten Reportagen im Radio für den Verkehrsfunk unterbrachen. Dabei – zugegeben – passierte eigentlich grade gar nichts. Man wartete. Auf den Papst. Den neuen Papst. Denn Franziskus, von dem noch niemand wusste, dass er Franziskus heißt, war frisch gewählt. Vor einer knappen Stunde war der berühmte weiße Rauch aufgestiegen. Jetzt standen die Kollegen Stefan Troendle und Jan-Christoph Kitzler auf dem Petersplatz und moderierten vor einem leeren Balkon, auf dem „der Neue“ erscheinen sollte. Eigentlich. Doch 20 Minuten lang passierte ….NICHTS.
Der Super-GAU. Könnte man meinen. Doch im Gegenteil:
Die Live-Schalte mit Troendle und Kitzler klang spannend wie eine Fußballreportage.
Ich war begeistert. Also schickte ich ein Mail an Stefan Troendle. Und erfuhr, dass der Abend auch für ihn der Höhepunkt seiner bisherigen Laufbahn war.
Blieb die Frage: Wie macht man so was? Wie bereitet man sich auf eine Papstwahl vor? Auf einen Wahlsieger, den man nicht kennt? Ein Ergebnis, das man nicht mal erahnen kann? Und den spannenden Moment des „Habemus papam“? Hier Stefan Troendles Antwort:
Nun: Das Wichtigste – ich verrate es gerne – sind warme Unterhosen. In meinem Fall war es die 40 Jahre alte dreifach Flanell-gefütterte Thermo-Ski-Unterwäsche meines Vaters, die während meines Einsatzes auf dem Petersplatz zu neuen Ehren kam. Der Bayerische Rundfunk, zuständig für das ARD-Studio Rom, hatte nämlich unterhalb der großen Fernsehtribüne Hörfunk-Übertragungsplätze installiert, mit viel Atmosphäre, mitten im Chaos und mit direkter Sicht auf den Petersdom. Kleiner Nachteil: Wir hatten zwar ein Dach – ansonsten saßen wir im Freien.
So richtig anheimelnd war das allerdings bei zwei Grad über Null nicht – so warm beziehungsweise kalt war es nämlich, wenn wir morgens um halb sechs anrückten, um die Frühsendungen der ARD mit Live-Gesprächen von „vor Ort“ (noch „vor Orter“ ging nicht) zu versorgen. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals mit Handschuhen und Mütze gesendet zu haben – aus Italien schon gar nicht.
Niemand dachte, dass es so schnell geht
Das Rennen um die Nachfolge von Benedikt XVI. war ja völlig offen. Auch wenn die italienischen Medien sich bei den Hitlisten um die wahrscheinlichsten „Papabili“ (= Papstfähige, aussichtsreiche Kandidaten) gegenseitig überboten, wurde – schon allein aufgrund der Dauer der Kardinalskongregationen vor dem eigentlichen Konklave – mit einem längeren Verfahren gerechnet, mit einer Wahl ohne klare Favoriten. Theoretisch kommt zwar jeder unverheiratete Katholik in Frage, aber in der Regel wählen die Kardinäle einen aus ihrer Mitte zum künftigen Papst. 115 Kardinäle nahmen an der Wahl teil, und im Gegensatz zur Wahl von Josef Ratzinger gab es diesmal keinen, der eindeutig hervorstach.
Nachtarbeit für Stichwort- und Karteikarten
Da es schlicht und ergreifend unmöglich ist, Details und Lebensläufe von 115 Kardinälen auswendig zu lernen – vor allem nicht wenn man währenddessen täglich mindestens 14 Stunden arbeitet – gab es nur einen Ausweg: stichwortartige Karteikarten, die alle wesentlichen Punkte beinhalten.
Eine unserer Redaktionsassistentinnen suchte und schrieb in mühsamer wochenlanger (Nacht-)Arbeit alles zusammen, was man über die entsprechenden Herren sagen konnte, geordnet nach Vornamen – auf lateinisch übrigens, damit beim ersten Erklingen des Vornamens beim „Habemus Papam“ (Giorgium….) schon mal der entsprechende Buchstabe ausgewählt werden konnte. Und nur für genau diesen entscheidenden Augenblick schob diese Kollegin mit uns Dienst am Petersplatz, stand zwischen uns beiden, während der Name des gewählten Kardinals erklang.
Handreichungen während der Übertragung
Wir berichteten ja live, recherchieren konnten wir nicht – sie war es, die uns zwei Sekunden nach dem Ergebnis der Wahl mit den entsprechenden schriftlichen Informationen „fütterte“, in Stichwortform, damit wir improvisieren konnten – im Radio kassierten wir dafür den großen Experten“bonus“. Wie wichtig diese Vorbereitung war, kann man auch daran erkennen, dass niemand mit Jorge Bergoglio gerechnet hatte – auch wir wären wahrscheinlich „baden“ gegangen.
Für den Fall der Fälle vorbereitet
Und noch ein anderer Vorbereitungspunkt hat eine große Rolle gespielt: Kurz nachdem der weiße Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kappelle strömte, fielen sämtliche Handy- und Internetverbindungen auf dem Petersplatz aus. Ich vermute: Der Vatikan hatte noch ein paar Störsender zusätzlich installiert, um ja zu verhindern, dass der Name des neuen Papstes vorzeitig bekannt wird. Daher war es – auch wenn das noch eine Illusion raubt – sehr sinnvoll, dass ich den Nachrichtenbeitrag „Weißer Rauch“ bereits vorproduziert hatte und nur noch überspielen musste – kurz danach hätten wir bei der Überspielung via Internet technisch echte Probleme bekommen. Einen Nachrichtenbeitrag „schwarzer Rauch“ gab es natürlich auch…
Senden wie die Fußballkollegen
Die Liveübertragung erfolgte übrigens nach dem gleichen Schema wie die Bundesliga-Berichterstattung – per Dauerleitung und 60/30-Schneidekommando (Achtung, in 30 Sekunden ab „jetzt“…). Die einzige Schwierigkeit für die Moderatoren in den angeschlossenen Funkhäusern war dabei, ihre Anmoderation zeitlich genau auf den Punkt zu bringen. Das muss wohl ziemlich gut geklappt haben, wie ein anderes Feedback zeigt, das mich ebenfalls sehr gefreut hat: Es kam von einem Sportkollegen bei einer Info-Welle. Der ließ nur mitteilen, man habe wegen uns die Übertragung der Champions-League in ein Digitalprogramm verlegt, es sei so spannend gewesen…. – was man auch an meinen Skiunterhosen erkennen konnte: Die waren nämlich komplett durchgeschwitzt.
Stefan Troendle ist derzeit ARD-Hörfunk-Korrespondent in Rom. Im Sommer 2013 kehrt er zurück zum SWR nach Baden-Baden.
Stefan Troendle schildert in seinem Bericht eine für Laien und Radioanfänger vermutlich überraschende Vorgehensweise: Er hat seinen Aufsager über die erfolgreiche Papstwahl vorproduziert – also aufgenommen zu einem Zeitpunkt, als der Papst noch nicht gewählt war. Für den Fall, dass es noch KEINEN neuen Papst gegeben hätte, hatte er auch das bereits eingesprochen. Im Hörfunk – und auch in anderen Medien – keine ungewöhnliche Vorgehensweise.
Ich persönlich halte Voraufzeichnungen, die Ereignisse vorwegnehmen, dennoch für heikel. Es besteht die Gefahr, eine (vor)ausgedachte Wirklichkeit zu schildern statt der tatsächlichen Ereignisse. Nachrichtenminuten wie diese voraufzuzeichnen, verlangt deshalb eine besonders akribische und sorgsame Vorgehensweise. Denn in so einer Nachrichtenminute dürfen nur Fakten geschildert werden, die den reinen Sachverhalt beschreiben. Formulierungen wie: „Jubel auf dem Petersplatz“ oder „Tausende lagen sich in den Armen“ verbieten sich dann. Denn sie täuschen eine Schilderung vor, die so gar nicht möglich war.
Erfahrene Kollegen wissen das und formulieren schilderungsfrei. Auch Stefan Troendle legt nach Rückfrage Wert darauf, dass es allein um die Voraufzeichnung einer nachrichtlichen Minute ging. Nicht um eine voraufgezeichnete Reportage.
Wem das arg erbsenzählerisch erscheint, dem sei gesagt, dass bisweilen schon die banalsten aufgezeichneten Schilderungen auf unangenehme Art von der Wirklichkeit eingeholt wurden. Der Kollege zum Beispiel der an einem Sommermorgen von einem Großereignis berichten sollte und schon am Vorabend aufgenommen hatte, dass sich hunderte Teilnehmer unter der aufgehenden Sonne am Marktplatz versammelt hatten, musste später erstaunt feststellen, dass die Teilnehmer dort im dichten Nebel standen. Über den Einspieler im Radio hatten sie (und andere Hörer vor Ort) sich mehr als gewundert. Und der Glaubwürdigkeit als Reporter hat es geschadet.
Mehr über die Probleme von (weiter gehenden) Live-Fakes und Inszenierungen auch bei fair radio, einer Initiative für mehr Glaubwürdigkeit im Hörfunk, die ich unterstütze.
Das Info-Programm war MDR Info. Saß damals gerade im Auto und hörte, wie der Moderator sagte: „Liebe Hörer, uns haben mittlerweile einige Anrufe und Mails von Ihnen erreicht. Viele von Ihnen würden gerne die Champions-League Übertragung hören – manchmal gibt es aber einfach wichtigere Dinge als ein Fußballspiel.“
Egal ob ich das gut oder schlecht finde – die Schalte vom Kollegen Troendle war wirklich unglaublich spannend.
Beste Grüße