Warum ich die WDR5-Reportagereihe Leo2Go liebe.
Und was man von ihr lernen kann. Tipps vom Macher Michael Lange.
Zwischen gackernden Hühnern und blutigen Hirschhäuten, mal die Nase an gammligen Küchenabfällen, dann Auge in Auge mit einem Wal: Michael Lange und Martin Winkelheide sind Wissenschaftsreporter mit Hang zum Abenteuer. Denn am liebsten gehen sie dahin, wo Wissenschaft und Technik Herzklopfen machen. Und dann reden sie drüber. Mit Experten. Vor Ort. Spontan. Sehr Alltagsnah. Sie lassen sich zeigen, wie „genau was geht“ und „wie man was macht“ – ein bisschen wie „Sendung mit der Maus“ für Erwachsene und für die Ohren.
Das Schönste dabei: Immer hat man als Hörer das Gefühl, der Leidenschaft zu lauschen, dabei zu sein, was mitzuerleben. Wie Leo2Go das schafft, wollte ich von Macher Michael Lange wissen. Hier seine Antwort:
„Michael Lange und Martin Winkelheide unterwegs für Leonardo.“ So beginnt seit Mai 2007 jede Folge unserer Reportagereihe Leo2Go, zunächst im WDR-Internet und später im Radio bei WDR5. Dann folgen fünf Minuten ohne Manuskript: Keine anschließend gesprochenen Texte, kein Archivmaterial, keine Musik. Nur nachträgliches Schneiden oder Blenden ist erlaubt. Wir nennen das unser privates Radio-Dogma. Angeregt dazu wurden wir durch so manch langweilige Radioreportage mit falschen Atmos und Geräuschen, nachträglich konstruierten Texten oder aufgesetzter Inszenierung. Nicht wenige Radioreportagen sind und wirken unecht, obwohl die Reporter vor Ort waren.
Wir wollten es ganz anders machen: Dabei sein, wenn etwas passiert, Menschen treffen, Orte und Situationen direkt auf uns und die Hörer wirken lassen. Unsere Idee: Wir unterhalten uns vor dem Mikrophon über das, was wir sehen, riechen oder fühlen, und kommentieren spontan, auch schon mal mit einem begeisterten „Booah“ oder einem angewiderten „Iiihh, wie das stinkt“. Durch diese Art von Gesprächsreportage sind die Hörer dabei, ohne selbst zu sehen und zu riechen. Obwohl wir keine Texte schreiben und nur wenige Informationen vorab recherchieren, erfordert diese Vorgehensweise sorgfältige Vorbereitung, denn wir müssen zur rechten Zeit an einem interessanten Ort sein. So haben wir gelernt, wie Steinzeitmenschen Pfeilspitzen herstellten, wie in einer Kirche eine neue Orgel entsteht, wie ein Wal präpariert wird oder wie ein Radioteleskop einen neuen Empfänger erhält.
Zurzeit schaffen wir etwa zwei Reportagen im Monat. Gesendet werden sie an irgendeinem Wochentag in der Sendung Leonardo zwischen 16:05 und 17:00 Uhr (Wiederholung ab 22:05 Uhr). Mittlerweile haben wir 127 Folgen aufgenommen, produziert und gesendet. Die letzten zwanzig lassen sich im Internet nachhören.
Die Aufnahmen vor Ort sind gar nicht so leicht. Alles, was ins Auge fällt, müssen wir sofort, ohne lange zu überlegen beschreiben. Wer von uns beiden das jeweils macht, ergibt sich ganz spontan. Das besondere: Wir sprechen nicht mit dem Mikrophon, sondern miteinander. Ich als Mikrophonhalter (mit Kopfhörer) muss darauf achten, dass das Mikro stets zwischen Martin und mir postiert ist. Kommt eine weitere Person hinzu, wandert das Mikro möglichst in die Mitte des Dreipersonen-Dreiecks.
Martin darf alles ausprobieren, herumturnen, Leute ansprechen und muss darauf achten, stets in Richtung Mikro zu sprechen. Das geht gut, wenn die Entfernungen nicht zu groß werden und so lange kein Lärm im Hintergrund stört. Dann muss das Mikro näher zum Sprechenden. Was manchmal schwierig ist, denn es gibt ja keine Regeln für unsere Gespräche.
Es handelt sich nicht um das im Radio übliche Frage-Antwort-Spiel. Keiner weiß, wer als nächster spricht. Lücken lassen sich nachträglich einfach herausschneiden, aber wenn wir uns oder den Menschen, die wir treffen, ins Wort fallen, dann bleibt das drin. Ob das besonders natürlich, lebendig, frech oder einfach nur unfreundlich und verwirrend klingt, darüber gibt es regelmäßig Diskussionen. Wir haben uns für „echt“ statt „inszeniert“ entschieden – und das heißt manchmal auch ein wenig chaotisch.
Bei so viel Freiheit gibt es auch bei Leo2Go Grenzen. Da sind zum einen die fünf Minuten, die wir als Sendezeit haben. Da sich in der realen Welt nicht alles in fünf Minuten machen lässt, müssen wir nicht selten zwanzig oder mehr Minuten zusammenschneiden. Damit es trotzdem natürlich klingt, haben wir uns für ein zu WDR 5 passendes Soundelement entschieden, das Zeitsprünge und Ortswechsel markiert.
In mehr als fünf Jahren hat sich Leo2Go immer wieder verändert. Einige unserer Ideen wurden von anderen Formaten aufgegriffen. Die Durchblicker, die in mehreren ARD-Hörfunksendern laufen, beschäftigen sich – wie wir in der Anfangszeit – in Vor Ort-Reportagen mit Wissenschaftsthemen. Bei uns stehen in letzter Zeit häufiger Handwerker oder Alltagstechnik im Vordergrund. Und wir mussten lernen: Längst nicht alles lässt sich in diesem Format umsetzen. Wir probieren aus und entwickeln uns weiter. Wohin das führt? Keine Ahnung. Zuletzt waren wir im Innern einer Autobahnbrücke. Demnächst dürfen wir dabei sein, wenn ein Haus umzieht, aus einer Wohnsiedlung in ein Freilichtmuseum. Klingt doch spannend, oder?
Und jetzt: Nachmachen. Hier zehn Tipps, die hoffentlich helfen:
- Thema sorgfältig auswählen. Nicht jedes Thema ist geeignet für eine vor Ort aufgenommene Radioreportage. Am besten läuft es dann, wenn es etwas zu sehen gibt und etwas passiert. Rechercheintensive Themen oder informative Gespräche mit Experten lassen sich besser ohne Reportage machen.
- Vorher den Verlauf der Geschichte überlegen. Wo komme ich her? Wo will ich hin? Was ist mir wichtig? Bei Reportagen zu zweit: Wer macht den Anfang? Der Rest ist bei Martin und mir sehr spontan: Während der eine redet, überlegt der andere, wie es weiter geht. Teams, die sich nicht so gut kennen, müssen wahrscheinlich mehr absprechen.
- Sich die wichtigsten Fakten einprägen. Vor allem die Namen der Beteiligten und Orte sowie wesentliche Hauptbegriffe muss man im Kopf haben – nicht aber ganze Formulierungen und Sätze! Das Reden klappt zumindest bei uns frei am besten und klingt am Natürlichsten.
- So tun als sei alles live, auch wenn nachher noch geschnitten wird. Nur so entsteht die nötige Dynamik und die Gesprächspartner bleiben fokussiert.
- Nicht zu viel aufnehmen. Dann zerfasert die Reportage und nachher hat man viel Arbeit beim Schneiden und Blenden. Wer viel schneiden muss, hat es oft schwer, die Situation in sich logisch zu halten. Dennoch: Wenn eine Passage schief geht, ruhig nochmal aufnehmen.
- Nicht zu früh Experten einbinden. Das Beschreiben der Situation und der Fragestellung ist Reportersache. Experten und Gesprächspartner können dann später Hintergründe erklären oder ihre Motivation erläutern.
- Zusätzlich Atmos und Geräusche ohne Gerede aufnehmen. Damit lassen sich anschließend Schnitte glätten oder verstecken.
- Die Aufnahme nicht zu hoch aussteuern. Lieber Luft nach oben lassen, damit man nicht immer auf den Pegel achten muss und auch bei Action vor Ort nicht gleich übersteuerte Aufnahmen bekommt. (Am besten eignet sich übrigens ein dynamisches Mikro mit Nierencharakteristik)
- Immer Kopfhörer nutzen und das Mikro nicht zu ruckartig bewegen. So vermeidet man Mikro-Geräusche und ständigen Wechsel der Lautstärken. Bei mehreren Personen im Gespräch halte ich das Mikrophon stets so, dass es sich zwischen den zwei oder drei sprechenden Personen möglichst in der Mitte befindet.
- Zeitsprünge im späteren Stück mit Sound markieren. Wir benutzen ein wiederkehrendes Tonelement aus Geräuschen oder Musik, so dass jeder Hörer weiß: Jetzt ist Zeit vergangen.
Über den Autor: Normalerweise beschäftigt sich Michael Lange als freier Journalist mit Biowissenschaften. Am liebsten im Radio, vorzugsweise für den Deutschlandfunk, DeutschlandRadio Kultur und WDR5. Besonders aber freut er sich, wenn er mit Martin Winkelheide zwei Mal im Monat auf Leo2Go-Reporterour gehen darf. Mehr auf: www.biolange.de