..ist die schwerste.
Tipps an eine Leserin, die per Mail um Rat gefragt hat.
Die Anfrage klang einigermaßen verzweifelt: „Bin so unsicher, was diesen Text anbelangt,“ stand da. Ob ich nicht helfen könnte. Sie müsse für eine Studienarbeit eine Anmoderation texten und sei mit dem Ergebnis noch nicht zufrieden, schrieb die Leserin. Na denn: Her mit dem Entwurf! Vielleicht kann ich helfen. Und wir alle was lernen. Bitteschön:
Sie wird nächste Woche 90 Jahre alt. Geht immer noch auf Tournee. Füllt mit Ihrer Stimme ganze Säle. Zieht ihr Publikum in den Bann. Entführt Sie in eine andere Welt. Was Sie dafür erntet? Strahlende Kinderaugen. Sie ahnen schon von wem ich spreche? Genau. Die Rede ist von Trudi Gerster. Die Schweizer Märchenkönigin. Ganze 3 Generationen von Schweizer Kinder hat Trudi Gerster mit Ihren Märchen begleitet. Am 06. September feiert sie ihren 90. Geburtstag. Grund genug einen Ausflug in die Welt der Märchen zu machen.
Angefangen hat alles 1939. Als noch 20 jährige wird Trudi Gerster an der Landesausstellung als Märchenfee engagiert. Da hat sie das erste Mal mit ihrer charismatischen Stimme den Fabelwesen Leben eingehaucht. Und damit hat Trudi Gerster auch die Märchenwelt für sich selbst zum Leben erweckt. Die Welt, in der hinterlistige Hexen Prinzessinnen verzaubern. Prinzen gegen Drachen kämpfen. Am Ende aber alles gut wird. Die Märchenwelt ist Trudi Gersters Leidenschaft. Beim Erzählen funkeln Ihre blauen Augen spitzbübisch. Auch mit 90 versprüht Trudi Gerster eine Lebendigkeit, die ihresgleichen sucht. Der Schalk sitzt ihr im Nacken. Feine Falten rahmen ihr Gesicht.
Jakob Weiss hat Trudi Gerster anlässlich Ihres 90. Geburtstages getroffen. Erfahren Sie in den nächsten Minuten von seiner märchenhaften Begegnung. Warum die Märchen Ihre grosse Liebe ist? Wie viel Frösche Trudi Gerster küssen musste und ob Sie den Prinzen in ihrem Leben gefunden hat. Und auf welche Fabelwesen sie in der Politik gestossen ist? Das Portrait einer Königin.
Meine Tipps:
Kürzen
Diese Anmoderation ist deutlich zu lang. Sie hat über 1.500 Zeichen. Gesprochen sind das garantiert über anderthalb Minuten. Selbst wenn danach ein langes Stück kommt, verlangt das sehr viel Ausdauer vom Hörer. Denn man empfindet so einen langen Text nicht mehr als Einleitung und Hinführung, aber genau das soll die Anmoderation sein. (Kleine Download-Empfehlung: Bei diesem Manuskript ergeben 16 Zeilen gesprochen ungefähr eine Minute.)
Nicht so viel vorwegnehmen
Diese Anmoderation erklärt und beschreibt unglaublich viel und gibt Antworten auf ganz verschiedene Fragen: Wer ist Trudi Gerster? Wie wirkt sie? Wie hat ihre Karriere begonnen? Was ist das Geheimnis ihres Erfolgs? Worüber hat sie mit dem Kollegen gesprochen? etc. Das sind zu viele Fragen für eine Anmoderation. Manches davon darf getrost erst im Beitrag beantwortet werden. Wie Trudi Gerster wirkt und aussieht zum Beispiel, ist ganz klar Sache des Reporters und nicht der Moderatorin. Schließlich war ja der Reporter vor Ort und hat Gerster kennen gelernt, nicht die Moderatorin. Auch der detaillierte Rückblick auf die Anfänge von Gersters Karriere scheint mir eher Aufgabe des Reporters.
Geradliniger vorgehen
Dieser Anmoderationsentwurf macht viele Sprünge. Eben weil er so viele Fragen beantworten will. Beispiel: Die Moderatorin kündigt einen Ausflug in die Welt der Märchen an. Dann folgt aber der Rückblick auf Trudi Gersters Karrierebeginn. Damit verliert die Anmoderation ihren Sog auf den Beitrag hin. Mein Tipp: Die Anmod eher wie einen Hundert-Meter-Lauf texten. Also: EINEN Startpunkt, dann von dort aus geradewegs auf den Beginn des Beitrags hin texten – möglichst keine Umwege einbauen. Auch wenn da am Rand ein paar weitere schöne Geschichten winken. Nicht jetzt.
Ansonsten finde ich
- die Sprache sehr gelungen:
Kurze Sätze. Einfach. Prägnant. Beim Hören gut verständlich. - den Einstieg klassisch:
So werden viele Portraits anmoderiert. Mit einem leicht geheimnisvollen Touch. Aber eben wenig originell. - die Frage an die Hörer gefährlich:
Denn weiß wirklich die Mehrzahl der Hörer, von wem die Rede ist? Da bin ich mir bei Trudi Gerster nicht so sicher. Möglicherweise unterschätze ich da aber ihren Bekanntheitsgrad beim Schweizer Publikum.
Also:
Verbesserungen sind möglich. Und jeder der will, darf Vorschläge einsenden. Ich werde sie ebenfalls hier besprechen.
Eure Sandra
PS: In ihrer Mail schrieb die Leserin auch:
Gestern hab ich glaub ich noch eine Stunde Podcast angehört, in denen Personen vorgestellt werden. Muster konnte ich leider keine erkennen.
In der Tat: Eindeutige Muster gibt es nicht. Bei Anmoderationen ist erlaubt und möglich, was wirkt. Aber ein paar typische Vorgehensweise, um zu einer handwerklich sauberen Anmod zu kommen, gibt es schon. Sechs davon sind in „Radio machen“ ab Seite 101 beschrieben. Ansonsten ist die Methode natürlich richtig: Viel hören. Rausfinden, was ankommt. Nachmachen. Bis zum nächsten Mal also.